Sowohl inhaltlich als auch historisch betrachtet sind männlich und weiblich in der Grammatik total irreführende Begriffe (vgl. sexualisierte Grammatik I). Wieso nur wurden sie denn nie ersetzt? Andere konfuse Konzepte sind in der Linguistik in den letzten Jahrzehnten vorweg liquidiert oder durch neue Konzepte – und zuweilen durch neue Konfusionen – ersetzt worden.

Nicht nur die Rechtschreibung erfuhr im Willen nach grösserer Konsequenz Anpassungen, auch die Grammatik wurde mit immer wieder neuen Zugriffen, Abgrenzungen und Begriffen systematischer gefasst: Wortarten wurden neu definiert, Form und Inhalt säuberlich getrennt; dem Prädikat wurde zunächst sein Satzgliedstatus aberkannt und dann mutierte es zu verbalen Teilen. Als ich die alte Duden-Grammatik und den Heuer durch neuere Ausgaben ersetzte, sah ich mich genötigt, mein bisheriges grammatisches Wissen weitgehend neu zu formieren. (Nun begreife ich die Grammatik allerdings deutlich besser).

Der Veränderung widerstanden aber hat, dass die Türe, die Hose, die Lasche, die Tasse, die Nacht weiblich sind, der Nagel, der Hut, der Pfriem, der Teller, der Tag männlich. Wo doch offensichtlich ist, dass es sich hier viel eher um Sächliches als um Männliches oder Weibliches handelt. Die Assoziation mit biologischem Geschlecht in einfältig männlich-weiblicher Binarität ist reiner Fake. Klar, wir lernen alle, dass das grammatische Geschlecht mit dem biologischen nichts zu tun hat – aber warum und woher dann der Namensblödsinn?

Ich bin dieser Frage etwas nachgegangen. Herausgefunden habe ich so viel: Gemäss Aristoteles hat Protagoras (5. Jh. v.Chr.) die “Hauptworte” in männlich, weiblich, unbeseelt unterteilt. Wie Protagoras auf diese Bezeichnung kam, und ob er wie wir den Grossteil des Unbeseelten auch schon als männlich beziehungsweise weiblich ausgab, war meiner Quelle (1) nicht zu entnehmen.

Hingegen interpretierten die ersten Grammatiker in der deutschen Sprache männlich und weiblich nicht anders denn als biologische Bestimmungen. Sie übernahmen die Begriffe zwar, erklärten sie aber als nur biologische Subjekte bezeichnend und für alles Weitere schufen sie weitere Genera. So definierte z.B. Christian Gueintz im Jahr 1641 fünf Genera: “Das Mänliche geschlechte ist, welches alleine etwas Mänliches bedeutet. Das Weibliche, welches alleine etwas Weibliches bedeutet. Das Unbenamte, welches für sich selbsten weder Mänliches noch Weibliches bedeutet. Zweierley ist, welches das Mänliche und das Weibliche geschlechte zugleich bedeutet. Geschlechte der Nennwörter sind fünfe, als Mänlich, Weiblich, unbenamtes, zweierley und allerley” (2.) Der Begriff “Geschlecht” ist hier als Stamm, Familie, Art zu verstehen.

Die eigenartige, männerwillkürliche Mutation des biologischen zum grammatischen Geschlecht hat bei uns also schon auf der Ebene der Bezeichnung selbst erst später Eingang in die Sprache gefunden.

Ich meine: Befreien wir doch die grammatischen Kategorien von der aufdringlichen sexuellen Aufladung! Suchen wir nach stimmigeren Namen für männlich, weiblich und für das sowieso schwer geprellte Sächliche. Wir könnten z.B. schlicht von Die-, Der-, Das-Genus sprechen oder internationaler von Genus I, Genus II, Genus III. Nummerierungen sind in der Grammatik ja durchaus gängig, etwa beim Konjunktiv oder beim Futur, wo jeweils I und II unterschieden werden.

Weil zu vermuten ist, dass der und die noch eine ganze Zeitlang automatisch mit dem realen Geschlecht assoziiert werden, schlage ich vor, der Die-Klasse die Nummer I zuzuteilen, der Der-Klasse die Nummer II. Bleibt für das Das die Nummer III. Der Erstrangierung des Männlichen ist damit von Beginn weg der Riegel geschoben.

Darüber hinaus ist diese Umbenennung aus feministischer Sicht vermutlich aber nicht weiter von Belang. Ob ich als Frau unter den Zuhörern, Lesern oder Nicht-Rauchern im Genus II statt im generischen Maskulinum unsichtbar gemacht werde, ist einerlei. Und ob die deutsche Sonne und die französische la lune die Weiblichkeit definitiv verlieren, ist auch nicht wirklich der Rede wert.

Trotzdem: Ich mag falsche Benennungen und Etikettenschwindel nicht. Was drauf steht, soll auch drin sein – und das gerade auch in der Sprache.

(1) (Robert Stockhammer: Grammatik. Wissen und Macht in der Geschichte einer sprachlichen Institution, stw 2014

(2) in Deutsche Sprachlehre Entwurf. Zitiert nach Ursula Doleschal: Das generische Maskulinum im Deutschen. Ein historischer Spaziergang durch die deutsche Grammatikschreibung von der Renaissance bis zur Postmoderne; bop.unibe.ch/linguistik-online/article/view/915/1594.

Schattentanz – von Lukas Ulmi

 http://lukasulmi.com/de/werk/

 

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